Forum März 2023
Titel: Schale Antworten und Lippenbekenntnisse
Autor: Serge Kollwelter
In der letzten forum-Ausgabe haben wir die Ergebnisse einer Umfrage veröffentlicht, die wir zuvor an alle in der Chamber vertretenen Parteien sowie an Fokus und die KPL, die sich als einzige Partei nicht beteiligt hat, verschickt hatten. Von den Antworten zur sechsten Frage nach den Plänen der Parteien, Ausländer*innen für ihr kommunales Wahlrecht zu begeistern, zeigt sich Serge Kollwelter tief enttäuscht.
Mit der sechsten Frage zum Superwahljahr wollte forum im Januar in Erfahrung bringen, welche Strategien die Parteien verfolgen, „um Ausländer*innen für ihr passives Wahlrecht auf kommunaler Ebene zu begeistern“. Nur selten kann man die erfolgten Reaktionen auf diese Frage als wirkliche Antwort bezeichnen: vier Sätze bei der LSAP und vier bei den Piraten ohne konkreten Bezug auf die Frage, bei der DP lediglich eine Nebelfahne, bei der Ausländer und Kandidaten mit nicht-luxemburgischen Wurzeln vermischt werden, bei den Grünen ein bisschen Gefasel (jeder kann sich einbringen), Fokus kündigt Kommunikation in drei Sprachen an, die ADR wird ausländische Einwohner auf ihren Listen und Infos auch in anderen Sprachen abrufbar haben. Neben déi Lénk ist die CSV am deutlichsten, indem sie nicht-luxemburgische Mitbürger motivieren will, als Kandidaten anzutreten.
Es ist schade, dass die offizielle Sensibilisierungskampagne „jepeuxvoter“ das passive Wahlrecht nur am Rande erwähnt, wobei es zentraler Bestandteil des Wahlrechts ist. Das ist umso bedauerlicher, da Luxemburg hier wirklich Vorreiter ist, da auf kommunaler Ebene alle Nicht-Luxemburger wählen und gewählt werden können, auch als Bürgermeister; dies sogar, ohne einen Sprachentest absolviert zu haben – wobei das Gesetz festlegt, dass die Gemeinderatsitzungen auf Luxemburgisch ablaufen. Sich auf Luxemburgisch behaupten zu können und Französisch zu beherrschen, ist in meinen Augen für einen Bürgermeister zumutbar – ihm unterstellte Beamte müssen in allen drei Landessprachen einen Test bestehen.
Womit wir bei einem andern Punkt wären: nämlich bei der Frage nach der Sinnhaftigkeit dieser geforderten Dreisprachigkeit. In meinen Augen sollten Gemeindejobs jedem offenstehen. Die EU-Regeln sehen dies auch so für EU-Bürger vor, außer bei Posten, in denen Souveränitätsrechte ausgeübt werden. Nun wäre interessant zu wissen, woraus diese auf Gemeindeebene bestehen. Betrifft das etwa den Gemeindesekretär, der Entscheidungen des Schöffenrats zusammen mit dem Bürgermeister unterschreibt? Betrifft es den Gemeindeeinnehmer? Kann man Gemeindebeamten Sprachkenntnisse abverlangen, die für den Chef der Gemeinde nicht gelten?
Gemeindepolitik betrifft alle Bürger, die in einer Gemeinde leben. Eine neue Schule mit Kinderbetreuung, Konzepte zu einer klar umrissenen Bürgerbeteiligung, die Anzahl der zu bauenden Sozialwohnungen – das sind Themen, die jeden bewegen. Würde es nicht Sinn ergeben, solche Themen und die mannigfaltigen Möglichkeiten kommunalen Handelns gerade auch gegenüber nicht-luxemburgischen Bürgern aufzuzeigen, um sie zu bewegen, sich in die Wählerlisten einzutragen. Nenad Dubajic rät in einem interessanten Beitrag in forum 429, die Internetseiten der Gemeinden zu besuchen, um sich über diese Möglichkeiten zu informieren.[i] Und Recht hat er: Da gibt es Innovatives zu entdecken.
Bloß wer wird sich Dutzende an Internetseiten zu Gemüte führen, um zu erfahren, was anderswo schon möglich geworden ist? Oder weiß jeder, dass hier eine Nachbarschaftsapp angeboten wird, dort im Gemeindebulletin alle Parteien abwechselnd zu Wort kommen, anderswo ein écrivain public den Bürgern bei administrativen Angelegenheiten behilflich ist? Hier hätte man ansetzen und einen Überblick erstellen können. Mein diesbezüglicher Vorschlag fand kein Echo bei Kampagnenträgern.
Ein paar Themenfelder sind für alle Gemeinden obligatorisch, so etwa Wasserversorgung, Müllabfuhr und Infrastrukturen der Grundschule. Kann man davon ausgehen, dass der wichtige Punkt der schulischen Infrastrukturen ein Selbstläufer ist? Keineswegs. Und hier zeigt sich ganz besonders gut, warum es sinnvoll sein könnte, dass Ausländer ihr kommunales passives Wahlrecht ausüben. Die Einwohner aus Kirchberg- Kiem, dem Viertel mit dem höchsten Ausländeranteil in der Hauptstadt, erlebten Folgendes. Mit anderthalbtausend neuen Wohnungen auf Kiem innerhalb eines Jahrzehnts mussten sie sich mit drei zusätzlichen Schulcontainer-Anlagen abfinden, bevor mit großer Verzögerung schließlich ein Neubau in Auftrag gegeben wurde. In Cents, einem Viertel, in dem mit knapper Mehrheit Luxemburger leben, ging dies viel schneller über die Bühne.
Die sch(m)alen Antworten der Parteien auf die sechste Frage lassen auf wenig Begeisterung bzw. Überzeugung schließen, was die Sensibilisierung für das kommunale Ausländerwahlrecht angeht. Man wird den Eindruck nicht los, dass das Prinzip der Beteiligung hochgehalten wird und zugleich kein zu großer Zulauf erwünscht ist. Ein solcher könnte gewachsene Wählerverhalten in Frage stellen, vielleicht sogar erschüttern und die verpflichteten Luxemburger verunsichern. Kann man den Einheimischen Reklame für den allgemeinen Zugang zu Gemeindejobs zumuten und somit den „nationalen“ Klientilismus einengen?
Eine Kampagne zur Einschreibung der Ausländer in die Wahllisten müsste eingebettet sein in eine Kampagne zur Bereicherung der Demokratie, die auch die Luxemburger umfasst. Doch welche Partei traut sich das? Die „sichere“ Wählerschaft schonend und ein paar Alibikandidaten aufnehmend bleibt es beim Lippenbekenntnis, nicht zu vergessen die organisierte Zivilgesellschaft, der man mit öffentlichen Geldern Kampagnen anvertraut.
Michel Pauly hat im Januar-Dossier auch die Wahlbeteiligung angesprochen. Gibt’s keine Wahlpflicht, müssen die Bürger motiviert werden, ihre Stimme abzugeben Bei den letzten Wahlen haben sich 11,6 % der wahlpflichtigen Belgier enthalten, was der Enthaltung der Luxemburger entspricht, während 84,17 % der Schweden freiwillig zur Urne gingen.
Für Nichtluxemburger heißt es vorerst weiter, sich einzuschreiben. Ihre Nicht-Teilnahme entspricht einer Art Enthaltung. Würde man sie als solche anführen, würde Luxemburg in bescheidene Zonen der Wahlbeteiligung abrutschen und die Hauptstadt müsste 47 % Enthaltungen melden
Mäßiges Interesse bei den Ausländern meldete das Luxemburger Wort am 30. Juli 2017: „Trotz der zahlreichen Anstrengungen fällt die Bilanz eher mäßig aus: Nach Ablauf der Einschreibungsfrist haben sich 77 Prozent der stimmberechtigten Ausländer dafür entschieden, sich nicht in die Wählerlisten für die Kommunalwahlen im Herbst eintragen zu lassen.“
In eben jenem Jahr nahmen 27.722 Luxemburger und 6.677 Ausländer in der Hauptstadt an den Wahlen teil, letztere entsprachen laut CEFIS 17,9 % derjenigen, welche mehr als fünf Jahre im Land waren. Somit wohnten in der Stadt damals 64.497 theoretisch wahlberechtigte Bürger.[ii]
Die Zahl der Gemeinderatsmitglieder entspricht der Bevölkerung. Bis zum 2. Weltkrieg mag das legitim gewesen sein, seither wird die Kluft zwischen Wählern und Nichtwählern immer grösser. Würde heute die Zahl der Räte in der Hauptstadt den Wählern entsprechen, wäre der Sitzungssaal auf dem Knuedler zur Hälfte leer, da nur 14 von 27 zu Wählende übrigbleiben würden.
Bei den Parlamentswahlen wären nach der gleichen Milchmädchenrechnung ebenfalls die Hälfte der jetzigen Abgeordneten arbeitslos.
Luft nach oben also!
[i] https://www.forum.lu/article/les-elections-communales-du-11-juin-2023 (letzter Aufruf: 15. Februar 2023).
[ii]https://cefis.lu/serie-red/#red22/1/ (letzter Aufruf: 15. Februar 2023).
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