48 Hintergrund-Interview
Auf dem Weg zum Apartheid-Staat ?
Serge Kollwelter wirft einen kritischen Blick zurück auf mehrere Jahrzehnte Immigrations- und Integrationspolitik. Und der Mitbegründer und frühere Präsident der Association des soutien aux travailleurs immigrés (ASTI), die dieses Jahr 40 Jahre alt wurde, blickt skeptisch in die Zukunft.
Aus einer vor einem Jahr veröffentlichten Studie der Europäischen Agentur für Grundrechte geht hervor, dass Luxemburg ein Rassismus-Problem hat. Hat Dich das überrascht?
Die Studie zeigt, wie die Betroffenen das erleben. Den Nicht-Betroffenen, sofern sie nicht selbst rassistische Äußerungen von sich geben, entgeht das. Allerdings müsste Ministerin Corinne Cahen es mitbekommen, wenn sich jemand klagend an das Zentrum für Gleichbehandlung (CET) wendet. Der Rassismus ist größtenteils unterschwellig und sicherlich nicht nur eine Frage der Hautfarbe. Die Diskriminierung findet auf verschiedenen Ebenen statt. Zum Beispiel bei der Wohnungssuche.
Wie war die Situation vor 40 Jahren, als die Asti gegründet wurde?
Damals gab es etwas mehr als 300.000 Einwohner in Luxemburg. Deren Zahl hat sich verdoppelt. Derweil ist der Anteil von Nicht-Luxemburgern ist von einem Viertel der Gesamtbevölkerung auf rund die Hälfte gewachsen. Ich sehe zwei Felder, auf denen Herausforderungen bestanden und noch bestehen, und die noch nicht richtig behandelt wurden.
Welche sind das?
Das eine ist das Wohnen: Einerseits gibt es einen großen Bevölkerungszuwachs, wobei die Grenzgänger noch nicht miteinbezogen sind, und andererseits einen Wohnungsmarkt, auf dem so getan wird, als hätte sich nichts geändert. Das ist ein Bereich, unter dem keine Integration, sondern eher eine Segregation stattfindet – entweder die Menschen ziehen ins Grenzgebiet, oder sie verwenden einen immer weiter steigenden Anteil ihres Einkommens für das Wohnen.
Und das zweite Feld?
Das zweite, dem auch
nicht Rechnung getragen wird, ist die Schule. Zurzeit gilt die Devise von
möglichst vielen unterschiedlichen Angeboten. Diversität klingt gut. Nur wenn
es so viele Schulangebote gibt, wo bleibt da die Schule als Schmelztiegel, wo
sich die einzelnen Teile der Gesellschaft zusammen finden? Wir haben eine sehr
stramme Trennung nach dem sechsten Schuljahr, die verhindert, dass die
Jugendlichen in einer wichtigen Lebensphase zusammen leben. Jedenfalls nicht in der Schule. So werden auch
soziale Milieus voneinander getrennt. Es ist zwar gut, dass es differenzierte
Angebote gibt. Nur warum bestehen diese nicht innerhalb einer Schule – mit verschiedenen
Sprachangeboten und gemeinsamen Aktivitäten? Es gibt schließlich Fächer, in
denen die Sprache nicht das allein Ausschlaggebende ist. Dass wir nicht mehr am
Pisa-Test teilnehmen, ist ungefähr so: Wenn du Fieber hast, dann mach das Thermometer
kaputt, damit du nicht mehr die Temperatur messen musst. Zwar ist die
Pisa-Studie keine Bibel, aber sie zeigt eine Tendenz und ist ein Spiegel der
Realität. Wir kommen immer schlecht weg, unter anderm weil wir zu früh eine
Trennung haben. Alle Länder, die besser abschneiden, trennen später zwischen
Primär- und Sekundarschule. Jetzt wird immer von Diversität gesprochen, dabei
werden auf diese Weise die sozialen Unterschiede versteckt. Kinder von
Akademikern und Kinder von Maurer und Putzfrauen mögen den gleichen Pass haben,
um in der Schule weiterzukommen brauchen sie unterschiedliche Hilfestellungen.
Hat man diese gesellschaftliche Entwicklung bereits 1974 absehen können, als das Schwarzbuch zur Migration herauskam?
Wir hatten zu jener Zeit eine Gruppe namens „Forum 80.000“. Nur so viele Ausländer waren es damals. Damals trug die sogenannte Familienzusammenführung ihre Früchte. Als ich in die Primärschule ging, war von 24 Schülern einer ein Ausländer. Heute wären hier in Weimerskirch von 14 Schülern vielleicht noch zwei Luxemburger. Bis heute hat sich die Schule sehr schwer getan, etwas zu verändern. Zwar gibt es immer mehr Kinder von Immigranten, die gute Leistungen bringen und es zu etwas bringen. Es hilft aber nicht zu sagen: Für die erste Generation tut es uns leid, aber die zweite oder dritte findet schon ihren Weg. Wir haben jedes Jahr 20.000 Zuwanderer, das ist ein Saldo von 12.000. Die Herausforderung, neue Mitbürger einzugliedern, bleibt bestehen, auch in der Schule.
Es gibt ja den Plan national d´intégration?
Das ist eine Maschine, um Geld zu verteilen. Für mich sind die wesentlichen Punkte: Wohnen und Schule. Da hilft auch kein nationaler Integrationsplan mit zusätzlichen Luxemburgisch-Kursen oder einem Contrat d‘accueil. Das ist zwar alles ok. Aber wenn auf den zwei Feldern, die ich nannte, nichts geschieht und man sagt, das würde mit der Zeit gelingen, dann… Nein, das wird nicht klappen.
Wie soll das erst funktionieren, wenn Luxemburg 1,2 Million Einwohner haben wird?
Ich kann dazu keine Prognosen aufstellen. Ein Rückblick: Als Jean-Claude Juncker vor etwa 15 Jahren vom 700.000-Einwohnerstaat sprach…
… den haben wir bald erreicht…
Wir sind schon längst darüber hinweg, wenn wir nämlich die 200.000 Grenzgänger hinzurechnen und dann auch noch mal ganz bescheiden mit drei multiplizieren. Dann sind wir schon bei 1,2 Millionen Menschen, die nicht unbedingt in, aber von Luxemburg leben. Es ist bezeichnend, wie wir immer versuchen, diese Grenzgänger kleinzuhalten. Stichwort Studentenbörsen: Der Europäische Gerichtshof hat uns deswegen verurteilt. Wir, also unsere Verantwortlichen, müssen uns erst mal etwas von einem Gericht vorschreiben lassen, statt dass wir es proaktiv angehen.
Zurück zum 1,2-Millionen-Einwohner-Staat.
Das setzt voraus, dass das Wachstum so bleibt wie bis jetzt. Diese Hypothese macht jede Frage nach der Zukunft der Pensionen überflüssig. Solange die Zahl der Erwerbstätigen wächst, können die nächsten Rentner von der wachsenden Zahl der Aktiven ihre Rente beziehen. Obwohl es nicht sicher ist, ob das weiterhin so funktioniert. Die Attraktivität des Standorts hat auch damit zu tun, wie schwierig es ist, eine Wohnung zu finden. Es kommen nicht nur die reichen „happy few“.
Ein Sprung zurück in die 70er. Vor der Asti entstand die Uniao, an deren Entstehen Sie beteiligt waren, und die sich an portugiesische „Gastarbeiter“ richtete.
Ganz genau. Hier in
Weimerskirch entstand ein Lokal. Ich war damals bei den Pfadfindern in
Weimerskirch aktiv. Wir stellten fest, dass Leute hinzukamen. Außerdem trafen
sich Jugendliche aus der Stadt, um in abwechselnden Pfarreien eine katholische
Messe zu feiern. Daraus ist auch die Zeitschrift „Forum“ entstanden. Das wurde
sehr schnell politisch. Ein weiteres Element, das zur Gründung der Uniao beitrug,
war die Tatsache, dass ich eine Classe d´auccueil hatte und mehrere Jahre für
das Schulamt als „instituteur à tâche sociale“ arbeitete. Das heißt, ich war
für den Kontakt zwischen Schule und Eltern zuständig. Weil ich Portugiesisch
sprechen konnte, wurde ich dazu berufen. Es war eine für mich wichtige Phase,
die mich sehr geprägt hat. Wenn ein Schüler mehrere Tage nicht im Unterricht
erschien, weil er schwänzte, ging ich so schnell wie möglich abends bei dem nach Hause. Ich bekam also
einen Einblick in die sozialen Realitäten, den ich als Lehrer nicht so leicht
bekommen hätte. Ich traf so auf sehr schlechte Wohnbedingungen. Im Grund zum
Beispiel waren über dem Café des Artistes in einem Zimmer von 12 Quadratmetern
zwei Doppelbetten schichtweise besetzt. Einmal hatten wir mit Jean Back einen
Film unter dem Titel „Spiel mir das Lied von der Wohnungsnot“ gedreht, eine
Anspielung auf den Sergio-Leone-Film. Fragt sich, wie ein solcher Film heute
aussehen würde.
Heute gibt es noch die Café-Zimmer.
Auch mit Leuten, die unter schwierigen Bedingungen leben. Damals ging es uns darum, diesen Leuten und ihren Kindern die Beteiligung an kulturellen oder sportlichen Aktivitäten zu ermöglichen. Nach Abschaffung der Foyers für alleinstehende Gastarbeiter bleibt nur die Alternative der Café-Zimmer.
Was war die Zielsetzung bei der Gründung der Asti im Jahr 1979?
Wir wussten, dass es auch Immigranten aus anderen Ländern gab, und haben unser Spektrum über die Portugiesen hinaus ausgedehnt. Die Initiative ging von Luxemburgern aus. Als Gegengewicht zur etwas paternalistischen Herangehensweise, dass Luxemburger etwas für Nicht-Luxemburger schufen, forderten wir von Anfang an die politische Mitbestimmung von Nicht-Luxemburgern. Dies schrieben wir auch beim ersten Festival des Migrations unter dem Motto „Vivre, travailler et décider ensemble“ auf unsere Fahnen. Dann versuchten wir auf einzelnen Feldern wie der Kinderbetreuung die Eltern miteinzubinden und leisteten Hausaufgabenhilfe.
Ihr habt euer Spektrum zunehmend erweitert.
Nur hatten wir anfangs
kaum Mittel. Dann gelang es uns mit der Zeit, Leute einzustellen, die wir
bezahlen konnten. Unsere Projekte wurden dann oft über europäische Gelder
finanziert. Wir versuchten, die einzelnen Problemfelder politisch zu
thematisieren, um aus der Ecke des reinen Flickens und Reparierens, in denen
man den Menschen konkret hilft, herauszukommen. Zum Beispiel die Frage der Sans
Papiers. Oder was das Projekt Go4Lunch betrifft, als Afrikaner immer mit
Drogendealern gleichgesetzt wurden und wir versuchten, ein anderes Bild zu
verschaffen, indem wir einen Cateringservice mit afrikanischen Asylbewerbern
schufen, die ihre Kunden per Fahrrad belieferten. Die ersten Kunden waren der
Arbeitsminister und der Ombudsman. Damit versuchten wir, ihnen bei der
Regularisierung weiterzuhelfen und einen Zugang zur Arbeit zu verschaffen. Die
Frage der Asylbewerber kam bei uns mit den Balkan-Kriegen auf den Schirm. Wir
hatten bis Luxemburg hatte bis dahin nicht einmal ein Asylgesetz. Marc
Fischbach war damals Justizminister. Wenn ein Asylbewerber eine Arbeit gefunden
hatte, wurde er regularisiert. Aus der Flüchtlingsfrage heraus stellte sich
dann auch die Frage der Sans Papiers.
Wie reagierten die jeweiligen Regierungen?
Wir wurden kaum als bedrohlich betrachtet. Die sozialliberale Regierung (1974-1979) stellte fest, dass sie keinen Ansprechpartner in diesem Bereich hatte. So wurde die „Conférence nationale de l´immigration“ und daraufhin der Ausländerbeirat gegründet. Aber dieser hat bis heute weder Mittel noch Einfluss. Am Anfang hatte ASTI kaum Mittel und konnten gerade ein, zwei Leute einstellen und sie bezahlen. Die Reaktionen der Regierungen hingen von den jeweiligen Ministern ab. Ein fortwährendes Problem bis heute ist, dass der für die Immigration zuständige Minister gewöhnlich ein anderes Ministerium hat, das gewichtiger ist. Früher war es das Justizministerium, heute das Außenministerium. Somit hat der Minister nicht nur weniger Zeit für diesen Bereich, sondern ist nicht immer präsent in seinem Ministerium. Fischbach jedoch reagierte zurzeit der Balkan-Kriege schnell, übrigens auch als Erziehungsminister indem er ein Maßnahmenpaket auf den Weg brachte. Probleme wurden erkannt. Zuvor herrschte eher Stillstand. Nach Fischbach war Luc Frieden als Justizminister für die Immigration zuständig. Ich verstehe ja, dass man die jeweilige Rolle respektieren muss. Der Minister als Entscheidungsträger hat sich an Gesetze zu halten. Doch ist der Buchstabe des Gesetzes nicht alles, ihn im Namen der Menschlichkeit zu überwinden ist kein Verbrechen! Ich weiß auch, dass nicht alle unserer Forderungen gleich zu erfüllen sind. Aber man muss doch zumindest das Gefühl haben, dass einem zugehört wird. Aber wenn man spürt, dass nur gemauert wird…
Wurde unter Frieden gemauert?
Ja, ganz klar. Mit Jean Asselborn wurde das ganz anders. Was ihn nicht unbedingt bei seinen Beamten beliebter machte. Die Verwaltung (Immigrationsbehörde, Anm. d. Red.) hatte unter Frieden ihre eigenen Kriterien entwickelt. Sie hatte sich verselbständigt, ganz im Geiste ihres Ministers. Die Leute dort wurden von Frieden geprägt. Dessen Nachfolger als Verantwortlicher für Immigration, Nicolas Schmit, musste sich ab 2004 erst der EU-Ratspräsidentschaft 2005 widmen und hatte keine Zeit. In der Immigration blieb das Meiste beim Alten.
Zur politischen Partizipation der Migranten: Hier gab es kontinuierlich Fortschritte. Bis zum Referendum 2015, als das Ausländerwahlrecht bei Nationalwahlen abgelehnt wurde.
Im November 2014 gab es bereits ein Referendum auf kommunaler Ebene über die Gemeindefusion von Larochette, Heffingen und Nommern. In Larochette waren zwei Drittel der Bevölkerung für eine Fusion, in den beiden anderen Gemeinden war die grosse Mehrheit dagegen. Das war eine Warnung die nicht beachtet wurde. Das nationale Referendum vergleiche ich mit folgendem Bild: Es ist wie bei einem Ein Neugeborenes, wird in die Welt gesetzt. Es braucht sofort Hege und Pflege. Genau das fand nicht statt. Es wurde etwas in die Welt gesetzt, nicht nur nicht gepflegt, nein die Eltern verschwanden von der Bildfläche. Es wurde keine Überzeugungsarbeit geleistet. Die Parteien, die für ein Ausländerwahlrecht waren, bezogen ihre Mitglieder überhaupt nicht in die Kampagne mit ein. Gleiches galt für die Gewerkschaften. Selbst die Asti verweigerte sich dem wie alle anderen. Es hätte stärker mobilisiert werden müssen und dann ein Referendum gestartet werden. Schließlich ging es um etwas, das den Alleinvertretungsanspruch der Luxemburger in Frage stellte. Stattdessen wurde es der ADR und Fred Keup überlassen und die CSV nutzte die Gelegenheit Gambia eins auszuwischen. Demokratieerweiterung wurde vermasselt.
Das Thema ist für längere Zeit vom Tisch.
Es ist vom Radar
verschwunden. Aber die Frage bleibt. Die CSV scheint übrigens zu zukunftsträchtigeren
Positionen punkto Einwohnerwahlrecht gelangt zu sein. Wenn wir zu den jetzigen
Bedingungen die Ein-Millionen-Grenze erreichen haben, ist der
Apartheid-Staat perfekt. Auf die Dauer ist die Situation nicht tragbar.
Die Rechtspopulisten verstehen es, Stimmung gegen Immigranten zu machen.
Zum Glück sind wir noch größtenteils von den Rechtspopulisten verschont geblieben. Gast Gibéryens ADR geht noch, aber wenn Fernand Kartheiser und Fred Keup einmal das Ruder ganz übernommen haben, wird es eine andere Dimension bekommen, fürchte ich. Fast jeder weiß, dass in diesem Land nichts ohne Ausländer läuft. Nur jeder dritte Aktive ist ein Luxemburger. Die anderen sind die ausländischen Einwohner und die Grenzgänger. Das wissen die Luxemburger. Wir kommen mittelfristig nicht am Ausländerwahlrecht vorbei.
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